Wie der Krieg in der Ukraine Zukunftsängste verstärkt und was die Politik jetzt dagegen tun muss
Der Krieg in der Ukraine fordert derzeit viele Opfer. Während die Berichte von Angriffen auf Zivilisten sich häufen, fliehen immer mehr Menschen aus dem Land. Mittlerweile sind es über 2,2 Millionen Flüchtlinge, darunter Schätzungen der Unicef zufolge 1 Million Kinder und Jugendliche.
Für die Ukrainer:innen markiert der Angriffskrieg Russlands nach Jahren der Demokratisierung und der Annäherung an den Westen einen tiefen Einschnitt. Besonders für die jungen Generationen ist der Krieg dramatisch. Er riskiert, das Land auf Jahrzehnte hin wirtschaftlich und politisch zurückzuwerfen.
Auch wenn die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und den NATO-Staaten jetzt erstarkt, so ist die Zukunft des Landes so ungewiss wie nie und ein EU-Beitritt scheint trotz Solidaritätsbekundungen der EU aus verständlichen Gründen in weiter Ferne.
Doch auch über die Grenzen der Ukraine hinaus trifft der Krieg die jungen Generationen. Der Schock über den Kriegsausbruch in Europa ist groß, schien doch ein solches Ereignis für die meisten undenkbar.
Steigende Zukunftsängste
Angesichts von enormen Herausforderungen wie der Klimakrise, des Artensterbens und der Pandemie war Zukunftsangst bei den jungen Generationen bereits vor dem Ausbruch des Krieges eine Realität.
Einer Befragung der University of Bath zufolge gaben 2021 etwa 60% der 10.000 Befragten zwischen 16 und 25 Jahren an, extrem oder sehr über die Klimakrise besorgt zu sein.1 Die Studie beruht auf Befragungen in zehn verschiedenen Ländern, darunter Frankreich, Portugal und Großbritannien. Eine überwältigende Mehrheit von 75% der Befragten gab zudem an, dass sie die Zukunft als beängstigend empfinden und etwa 49% waren sich nicht sicher, ob sie angesichts der Klimakrise Kinder bekommen wollen. Andere Befragungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Mit dem Kriegsausbruch in Europa kommt eine weitere Krise hinzu, die riskiert, die bereits existierten Zukunftsängste weiter zu verschärfen.
Schuld an diesen Ängsten ist auch die Trägheit der Politik, wenn es darum geht, die derzeitigen Krisen zu bewältigen. Die Klimaproteste der vergangenen Jahre zeigen eindrucksvoll, dass viele junge Menschen durchaus für ihre Zukunft einstehen und sich engagieren. Sie fordern konsequentes Handeln von der Politik. Doch genau hier fühlen sie sich bisher zum großen Teil enttäuscht. Denn die bereits genannte Befragung ergab auch, dass zwei Drittel der Befragten der Meinung sind, die Regierungen würden nicht genug unternehmen, um eine Zuspitzung der Klimakrise zu verhindern.
Fossile Energien überwinden
Der neueste Bericht des Weltklimarats bestätigt diese Auffassung. Das Zeitfenster, um zu handeln, wird immer kleiner. Die gute Nachricht: Die Menschheit hat immer noch die Hebel in der Hand, um die schlimmsten Konsequenzen der Klimakrise abzuwenden. Dafür bedarf es jetzt aber eines konsequenten weltweiten Aufbruchs.
Angesichts des Krieges in der Ukraine rückt die fossile Abhängigkeit der EU erneut in den Fokus. Trotz des Krieges werden etwa 40% des Gaskonsums mit Importen aus Russland gedeckt. Beim Öl sind es etwa 25%. Darüber hinaus ist die EU mit rund 60% der wichtigste Absatzmarkt für Putins Energieprodukte. Diese klimaschädliche Abhängigkeit von Russland, in die sich die europäischen Staaten trotz vielen Warnungen in den letzten Jahren hineinbegeben haben, war ein kolossaler Fehler.

Die EU finanziert nämlich somit Putins Krieg gegen die Ukraine mit, und zwar in Höhe von hunderten Millionen pro Tag. Jetzt gilt es dieser Abhängigkeit etwas entgegen zu stellen. Die aktuelle Situation macht klar und deutlich, dass es keine echte Sicherheit und Frieden geben kann, solange unsere Energieversorgung zu einem großen Teil von Autokraten abhängt. Im Gegensatz zu fossilen Energien sind Sonne und Wind nicht nur unerschöpfliche Ressourcen, sondern auch unabhängig von autokratischen Regimen.
Die aktuelle Situation zeigt, dass es keine echte Sicherheit und Frieden geben kann, solange unsere Energieversorgung zu einem großen Teil von Autokraten abhängt.
Die aktuelle Lage hat die EU-Kommission nun dazu bewogen, ihre Position zur Versorgungssicherheit zu korrigieren. Hier geht es aber nicht nur um die Unabhängigkeit von Russland, sondern generell um Importe von fossilen Energien. Zu begrüssen ist, dass die EU-Kommission nun einen Plan vorgestellt hat, um die Gasimporte aus Russland bis zum Ende dieses Jahres um zwei Drittel zu reduzieren. Gleichzeitig soll der Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt werden. Dies ist ein richtiger Schritt und ein wichtiges Signal. Ob es reicht?
Denn angesichts der Klimakrise und der steigenden Treibhausgasemissionen können wir es uns nicht leisten, russisches Gas einfach nur durch Flüssiggas-Importe aus den USA oder Qatar zu ersetzen. Die EU muss jetzt schnell massive Investitionen in erneuerbare Energien auf den Weg bringen, notfalls auch finanziert durch neue Anleihen.
In Luxemburg wurden die diesbezüglichen Hausaufgaben in den letzten Jahren gemacht: In den letzten Zehn Jahren wurde die Stromproduktion mit erneuerbaren Energien verdreifacht. Besonders die Windenergie hat in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Diese Anstrengungen müssen jetzt fortgesetzt und weiter verstärkt werden.
Ein Revival der Atomkraft hingegen, wie es jetzt von einigen Politikern wieder ins Gespräch gebracht wird, würde uns weder schnell genug dem Ziel der Klimaneutralität näherbringen, noch würde es eine intelligente Antwort auf die Energieabhängigkeit Europas liefern. Denn auch bei der Kernenergie ist Europa auf Uran-Importe angewiesen. Frankreich z.B. importiert etwa 29% seines Urans aus Kasachstan – ein Land, das nicht für seine gut funktionierende Demokratie bekannt ist.
Darüber hinaus zeigen rezente Ereignisse, dass auch die Atomkraft sicherheitstechnisch im Kriegsfall ein untragbares Risiko darstellt. Mit dem gezielten Angriff von Atomkraftwerken hat Russland einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen.
Positive Perspektiven
Klimakrise, Pandemie, Krieg. Extremwetterereignisse, Gesundheitskrisen, menschliches Leid. Energiekrise, Nahrungsmittelkrise und steigende Kosten. Dazu kommt ein Wohnungsmarkt, der es besonders jungen Berufsanfängern und finanziell schwächeren Haushalten schwer macht. Dies verschärft auch die Zukunftsängste der Jugend in Luxemburg.
Deshalb sind auch hier politische Maßnahmen mehr denn je erforderlich. Neben dem konsequenten Ausbau des Angebots an bezahlbarem öffentlichem Wohnraum, den die Regierung bereits vorantreibt, bedarf es auch einer steuerpolitischen Wende.
Es muss jetzt darum gehen, der Zukunftsangst der jungen Generationen die positive Perspektive einer lebenswerten, sicheren und friedlichen Zukunft entgegen zu setzen.
Es gilt, die bereits angekündigten steuerlichen Instrumente zur Mobilisierung von Bauland und leerstehendem Wohnraum jetzt so schnell und so wirkungsvoll wie möglich umzusetzen. Denn angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Situation auf dem Wohnungsmarkt darf die aktuelle Krise nicht zur Ausrede werden, um die Umsetzung dieser steuerpolitischen Maßnahmen zu vertagen.
Wir leben derzeit in unsicheren und instabilen Zeiten. Deshalb ist es umso wichtiger, jetzt den nötigen Mut aufzubringen und konsequente politische Entscheidungen zu treffen. Es muss jetzt darum gehen, der Zukunftsangst der jungen Generationen die positive Perspektive einer lebenswerten, sicheren und friedlichen Zukunft entgegen zu setzen. Das geht nur indem die Politik die großen Herausforderungen nicht vor sich herschiebt, sondern jetzt entschlossen handelt.
Jessie Thill ist Umweltphysikerin und für déi gréng die jüngste Abgeordnete im Parlament.
Fabricio Costa ist Politologe und Co-Vorstandsvorsitzender von déi jonk gréng.
Erstpublikation: Luxemburger Wort, 12.03.2022
1 Marks et al. (2021), Young People’s Voices on Climate Anxiety, Government Betrayal and Moral Injury: A Global Phenomenon, The Lancet, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3918955
Photo by Francesca Di Pasqua on Unsplash