Überlegungen zu Sinn und Umsetzung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus
Pandemiemüde. So beschreiben derzeit wohl die meisten ihre geistige Verfassung. Doch nach fast zwei Jahren pandemischem Hin und Her scheint wieder kein Ende in Sicht. Wegen der ansteckenderen Omikron-Variante und der zu niedrigen Impfquote mussten die sanitären Maßnahmen jüngst wieder verschärft werden. Dabei hatten viele vor einigen Monaten gehofft, dass wir dank des sehr schnell entwickelten Impfstoffs bald das Schlimmste überstanden hätten. Doch aus der anfänglichen Ungeduld der Mehrheit, endlich geimpft zu werden, ist ein Herauszögern bzw. Ablehnen seitens einer immer noch zu großen Minderheit geworden.
Um die Impfquote zu erhöhen, setzte die Regierung anstatt von positiven Anreizen auf Druck, der mit der rezenten Einführung der 2G-Regel weiter erhöht wurde. Dies kann man gut oder schlecht finden, Fakt ist, dass es bis jetzt nicht zum gewünschten Ergebnis geführt hat. Die Impfquote bleibt mit knapp 70% zu niedrig. Doch es scheint gerade so, als seien den Verantwortlichen die Ideen ausgegangen, um Skeptiker von der Impfung zu überzeugen.
Freiheit braucht Verantwortung
Diese Situation mündet nun in einer sich schnell zuspitzenden Debatte um eine allgemeine Impfpflicht, die von vielen als der Weg aus der Pandemie bezeichnet wird. Die Regierung will bis Mitte Januar eine Entscheidung fällen. Die CSV hat sich bereits im Dezember für eine Impfpflicht positioniert, bequemerweise jedoch ohne Einzelheiten zur Umsetzung zu nennen.
Die CSV hat sich bereits im Dezember für eine Impfpflicht positioniert, bequemerweise jedoch ohne Einzelheiten zur Umsetzung zu nennen.
Die Impfung ist der beste Weg, um das Risiko, im Falle einer Erkrankung das Gesundheitssystem zu belasten, signifikant zu reduzieren. Anhand der offiziellen Zahlen kann man ausrechnen, dass das Risiko mit Impfung bei einer Erkrankung intensiv behandelt werden zu müssen etwa fünfmal niedriger ist als ohne Impfung.[1] Hier sei die Frage erlaubt, warum diese vielsagende Zahl nicht vom Gesundheitsministerium selbst berechnet und kommuniziert wird.
Durch die Impfung schützt man also nicht nur sich selbst, sondern auch Mitbürger:innen, die wegen Covid oder aus jeglichen anderen Gründen im Krankenhaus behandelt werden müssen. In diesem Sinne kann eine Impfpflicht als ein in Pandemiezeiten gerechtfertigtes Mittel gesehen werden, um allen Bürger:innen in Erinnerung zu rufen, dass Freiheit keine egoistische Einbahnstraße ist, sondern Verantwortung für andere mit sich bringt.
Darüber hinaus wurde mit der 2G-Regel bereits eine de facto Impfpflicht eingeführt, da Ungeimpfte zum großen Teil aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen werden, wobei die Impfung bisher prinzipiell freiwillig bleibt. Dies durch eine allgemeine Impfpflicht zu ersetzen, entspräche demnach einer ehrlicheren Politik als die aktuellen Maßnahmen. Anstatt anhand einer freiwilligen Entscheidung einzuschränken, würden alle Bürger:innen zur Impfung verpflichtet und somit gleich behandelt.
Trotz diesen Überlegungen bleiben viele Fragen zu klären. Zum einen wäre da die konkrete Umsetzung. Zum anderen stellt sich aber auch die grundsätzliche Frage, ob und wie eine Impfpflicht ihr Ziel, die Impfquote maßgeblich zu erhöhen, überhaupt erfüllen kann oder ob sie nur zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft beiträgt.
Schlechte Kommunikation
Um das zu ergründen, muss man die Menschen, die bisher trotz allem Druck auf eine Impfung verzichtet haben, sowie ihre Beweggründe, kennen. Denn man sollte nicht den Fehler begehen und denken, dass die einigen hundert gewaltsamen und unverbesserlichen Protestierenden der letzten Monate alle Ungeimpften repräsentieren.
Eine Studie von Forschern der Universität Luxemburg zeigt, dass vor allem die Angst vor Nebenwirkungen sowie die Annahme, dass das Vakzin nicht hinreichend getestet wurde, zu Impfskepsis führt.[2] Vor allem bei Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad und jungen Menschen unter 30 besteht außerdem das Gefühl, nicht ausreichend über die COVID-Impfstoffe und Impfstoffe im Allgemeinen informiert zu sein.
Die Studie kommt auch zum Ergebnis, dass die Impfskepsis in einigen ethnischen Bevölkerungsgruppen stärker verbreitet ist als in anderen. So ist zum Beispiel die Impfskepsis bei Bürger:innen mit Migrationshintergrund im ehemaligen Jugoslawien sehr weit verbreitet, was sich auch mit den niedrigen Impfquoten einiger Westbalkanländer deckt. Die Forscher empfehlen daher, diese Gruppe gezielt in ihrer Muttersprache anzusprechen, was bisher in der offiziellen Kommunikation der Santé versäumt wurde.
Andere Untersuchungen aus Deutschland kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Bildungsgrad und Sprachbarrieren stehen oft in Zusammenhang mit niedrigeren Impfquoten. Hinzu kommt, dass ein Teil der Bevölkerung vom politischen System enttäuscht wurde und von offiziellen Studien und Umfragen nicht erfasst wird.[3]
Die Santé hat es nicht geschafft, genügend in spezifische Bevölkerungsgruppen vorzudringen und dort Ängste zu entkräften.
Diese Erkenntnisse zeigen, wo die Corona-Kommunikation des Gesundheitsministeriums bisher versagt hat. Man hat es nicht geschafft, genügend in spezifische Bevölkerungsgruppen vorzudringen und dort Ängste zu entkräften. Hinzu kommen eine teilweise widersprüchliche Kommunikation, ein Mangel an emotionalen Botschaften und positiven Anreizen sowie eine zu spät kommende Intensivierung der Impfkampagne.
Jetzt gilt es, die Gruppen, die bisher auf eine Impfung verzichtet haben, genauer zu identifizieren. Anschließend bedarf es einer gezielteren Kommunikation, sowohl in Bezug auf die Form als auch auf den Inhalt. Man sollte mithilfe von bereits gut vernetzten „Botschaftern“ versuchen, in die betroffenen Milieus vorzudringen, um dann gezielt die Ängste anzusprechen, die in der jeweiligen Gruppe vorherrschen. Gleichzeitig müssen Sprachbarrieren abgebaut werden, indem in mehr Sprachen als bisher kommuniziert wird. Und warum nicht auch gezielt Informations- und Impfteams in Betriebe und Viertel mit niedrigen Impfquoten senden? Im deutschen Bundesland Bremen hat diese Strategie zu einer Impfquote von über 83% geführt.
Ernüchterung vorprogrammiert?
Eine Impfpflicht mag im aktuellen Kontext sinnvoll erscheinen, sie würde jedoch als isolierte Maßnahme nicht das Problem der mangelhaften Kommunikation seitens der Gesundheitsbehörden lösen. Genauso wenig würden durch eine Impfpflicht die Ängste jener, die sich bisher gegen eine Impfung entschieden haben, entkräftet. Deshalb müsste eine Impfpflicht in eine breitere und gezieltere Informations- und Impfkampagne eingebettet werden, die zum Ziel hat, Ungeimpfte nicht nur in die Pflicht zu nehmen, sondern sie auch von der Sinnhaftigkeit dieser Pflicht zu überzeugen.
Auch der Zeitpunkt der Einführung ist entscheidend. Eine Impfpflicht ist keine Lösung, um kurzfristig das Gesundheitssystem zu entlasten, da ihre Umsetzung Zeit braucht. Außerdem käme es einer weiteren Eskalation der Einschränkungen für Ungeimpfte gleich, wenn sie jetzt zusätzlich zu den bestehenden 2G-Regelungen eingeführt werden würde. Es bestünde die Gefahr, dass sich die Fronten weiter verhärten, ohne jedoch einen nennenswerten Fortschritt bei der Impfquote zu erzielen. Die Impfpflicht könnte deshalb nur als mittelfristige sowie befristete Maßnahme Sinn machen um, sobald dies aus gesundheitspolitischer Sicht möglich ist, die bereits bestehenden Maßnahmen zu ersetzen und uns so auf die nächsten Winter vorzubereiten.
Eins ist sicher: Mit einer Impfpflicht, die isoliert als der schnelle Weg aus der Pandemie verstanden und auch so umgesetzt wird, wäre die erneute Corona-Ernüchterung bereits vorprogrammiert.
Schließlich stellt sich angesichts der sich zurzeit sehr schnell verbreitenden Omikron-Variante auch die Frage, ob eine Impfpflicht überhaupt noch nötig sein wird. Dies wird sich wohl in den nächsten Wochen und Monaten zeigen.
Eins ist sicher: Mit einer Impfpflicht, die isoliert als der schnelle Weg aus der Pandemie verstanden und auch so umgesetzt wird, wäre die erneute Corona-Ernüchterung bereits vorprogrammiert.
Erstpublikation: Luxemburger Wort, 08.01.2022
[1] Ministère de la Santé (2021) COVID-19: Rétrospective de la semaine du 27 décembre 2021 au 2 janvier 2022
[2] Anja K. Leist et al. (2021) Which Demographic and Socio-economic Factors are Associated with Vaccination Willingness and Beliefs Towards Vaccination?
[3] Katharina Menne & Ulrich Schnabel (2021) Streiten wir über die falschen?, Die Zeit, 16.12.2021
Photo by Adrià Crehuet Cano on Unsplash