Konservative wie Luc Frieden versuchen, in der Vergangenheit verfehlte Politik als neu zu verkaufen. Warum dies der falsche Weg ist.

Wenn Veränderung ins Haus steht, dann gibt es jene, die versuchen, anhand von innovativen Ideen Zukunft zu gestalten und Neues auszuprobieren. Und dann gibt es wiederum jene, die die großen Herausforderungen unserer Zeit mit Antworten aus der Vergangenheit bewältigen wollen.
Konservative sowie liberale Politiker in ganz Europa bemühen derzeit immer wieder die These, man müsse dem Markt nur mehr Raum geben und der Staat solle sich so wenig wie möglich in die Wirtschaft einmischen. Nur dann könne sich unsere Wirtschaft positiv weiterentwickeln.
So zum Beispiel die britische Premierministerin Liz Truss. Mit ihrem ultraliberalen Kurs hielt sie sich gerade einmal 50 Tage im Amt, nachdem ihr Finanzminister angekündigt hatte, die Steuern massiv zu senken. Die nicht sehr revolutionäre Idee: weniger Steuern bringen mehr Wachstum, was wiederum zu mehr Steuereinnahmen führt. Theoretisch also ein Win-Win. Doch die Märkte reagierten schockiert, u.a. weil die Steuersenkungen über Schulden finanziert werden sollten, das Pfund fiel in den Keller und die Zinsen stiegen. Daraufhin wurden die Steuersenkungen weitestgehend annulliert und Truss trat zurück.
Während Truss mit dem Kopf durch die Wand wollte, agieren andere Politiker geschickter. Immer nach dem alten Narrativ: weniger Steuern, mehr Wachstum.
Der „neue“ Luc Frieden
Auch in Luxemburg wird dieses alte Narrativ wieder bedient. Anfang der Woche war der Spitzenkandidat und Ex-Finanzminister der CSV, Luc Frieden, auf allen Kanälen zu hören, um die Prioritäten der Partei für die Kammerwahlen im Oktober vorzustellen.
Die Hauptforderung besteht auch hier darin, die Steuern für alle zu senken, mit dem Ziel, mehr Wachstum zu generieren – im Gegensatz zur jetzigen Regierung, die nur Steuern erhöht hätte. Gleichzeitig solle die Schuldenlast bei 30% im Vergleich zum BIP bleiben.
Zum einen entspricht die Behauptung, die Steuern wären in den letzten beiden Legislaturperioden nur gestiegen, nicht der Realität. Durch die Steuerform von 2017, die kürzlich beschlossene Anpassung der Steuertabelle auf den 1. Januar 2024 und weitere punktuelle Maßnahmen wie z.B. die Erhöhung des Steuerkredits für Alleinerziehende hat die derzeitige Regierung die große Mehrheit der Haushalte steuerlich entlastet.
Zum anderen stellt sich die Frage, wie Friedens Rechnung aufgehen soll. Wenn flächendeckend Steuern gesenkt werden, die Staatsverschuldung jedoch stabil bleiben soll und keine Gegenfinanzierung vorgesehen wird, bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit: eine Sparpolitik beim Staat, wovon wohl in erster Linie Zukunftsinvestitionen betroffen wären.
Hohe Investitionen weiterführen
Dabei brauchen wir gerade jetzt mehr öffentliche Investitionen, um den Mobilitätsplan 2035 umzusetzen und somit die Mobilitätsinfrastruktur so aufzustellen, dass jeder sich praktisch und schnell von A nach B bewegen kann. Das gleiche gilt für die Wohnungskrise, wo die massive Erhöhung der Investitionen in bezahlbaren Wohnraum in den nächsten Jahren weitergeführt werden muss.
Genauso wird der Staat auch gebraucht, um die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen proaktiv beim Umstieg auf erneuerbare Energien finanziell zu unterstützen und ein Gesundheitssystem sicherzustellen, das jedem einen schnellen und zuverlässigen Zugang zu medizinischer Versorgung garantiert.
Auch das Argument, dass mehr Wachstum das Problem der Finanzierung lösen wird, ist mindestens fraglich. Deutlich mehr Wachstum würde bedeuten, dass die negativen Konsequenzen des Wachstums, wie die erhöhte Nachfrage nach Wohnraum, das steigende Verkehrsaufkommen sowie der erhöhte Druck auf unsere Umwelt, noch mehr als ohnehin schon steigen. Dies würde wiederum noch höhere Investitionen in Infrastruktur erfordern – Investitionen, die unter dem CSV-Finanzminister Frieden vor 2013 verschlafen wurden und erst in den letzten Jahren merklich umgelenkt und erhöht wurden. Dass also gerade der Ex-Finanzminister Frieden jetzt der derzeitigen Regierung vorwirft, sie habe bei Wohnungskrise, Mobilitätswende und Klimaschutz verschlafen und mit bereits gescheiterten Rezepten verspricht, die Probleme lösen zu können, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Oder anders ausgedrückt: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Die richtigen Prioritäten setzen
Statt finanzpolitischem Populismus brauchen wir eine wirklich nachhaltige Steuer- und Finanzpolitik, die die richtigen Prioritäten setzt. Das bedeutet z.B. keine pauschalen Steuergeschenke für alle, sondern jene Bürgerinnen und Bürger, die von steigenden Lebenshaltungskosten betroffen sind, allen voran Menschen mit niedrigen Einkommen und die Mittelschicht, zu entlasten. Die große Steuerreform, die in dieser Legislatur nicht umgesetzt werden konnte, muss dementsprechend in der nächsten Regierung allerhöchste Priorität bekommen. Hierbei gilt es auch, anhand der Individualisierung der Einkommensteuer die von vorherigen Regierungen vererbte Steuerklasse 1A zu überwinden, und somit mehr Gerechtigkeit für Alleinerziehende und Witwen bzw. Witwer zu schaffen.
Genauso bedeutet es auch, einen steuerpolitischen Rahmen sicherzustellen, der dafür sorgt, dass Klima- und Umweltschutz sich finanziell lohnen. Hier wurde z.B. in einer der letzten Tripartite-Runden eine Steuerbegünstigung für Unternehmen angekündigt, die ihre Aktivitäten klimafreundlicher aufstellen. Fast 10 Monate später liegt allerdings noch kein Gesetzvorschlag vonseiten des Finanz- oder Wirtschaftsministeriums vor. Diese Maßnahme gehört nun so schnell wie möglich umgesetzt und es muss dafür gesorgt werden, dass nur tatsächlich nachhaltige Investitionen begünstigt werden. Auch private Haushalte sollten neben den bereits bestehenden Prämien steuerlich unterstützt werden, wenn sie klimafreundlich investieren, z.B. über eine zusätzliche Absetzungsmöglichkeit bei Bausparverträgen, die für energetische Sanierung genutzt werden.
Schließlich brauchen wir auch gezielte Unterstützung für junge Menschen, die am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen oder unternehmerisch tätig werden wollen, z.B. indem Berufsanfänger:innen bei den Ausgaben für Wohnraum sowie Investitionen in junge Unternehmen fiskalisch begünstigt werden.
Es gilt also, in den nächsten Jahren neue Wege zu gehen und die richtigen Prioritäten zu setzen, statt mit verfehlter Politik aus der Vergangenheit vorzugaukeln, die derzeitigen Probleme lösen zu können.
Erstpublikation: Luxemburger Wort, 24.06.2023, mit dem Titel “Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.”