Wie wir unsere Wirtschaft und Gesellschaft noch rechtzeitig klimaneutral aufstellen können und warum wir alle davon profitieren

Am letzten Dienstag veröffentlichte der Weltklimarat einen Bericht, der erneut aufzeigt, dass die Menschheit bei der Bekämpfung der Klimakrise keine Zeit zu verlieren hat. Demnach sagen alle derzeitigen Szenarien voraus, dass die Erderwärmung zwischen 2030 und 2035 die Grenze von 1,5°C überschreiten wird, sofern die Weltgemeinschaft keine weiteren Maßnahmen beschließt, um die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren.
Die nächsten Jahre sind somit entscheidend, um unsere Wirtschaft auf den Weg in Richtung Klimaneutralität zu bringen. Die Herausforderung ist angesichts der derzeit hohen Inflation und der Energiekrise gigantisch. Und doch zeigen die Fortschritte der letzten Jahre, dass Veränderung möglich ist, wenn der nötige politische Wille besteht. So wurde in Luxemburg der aus erneuerbaren Energien gewonnene Strom in den letzten Jahren verdoppelt, der öffentliche Verkehr auf nationaler Ebene massiv ausgebaut und die Klimaziele für 2021 erreicht.
Gleichzeitig tut sich auch auf internationaler Ebene etwas. Die USA haben mit dem Inflation Reduction Act ein gigantisches Subventionspaket auf den Weg gebracht, um den nachhaltigen Umbau der amerikanischen Wirtschaft zu beschleunigen und dabei die Produktion in den USA zu fördern.
Dies ist insgesamt eine gute Nachricht fürs Klima. Doch zeigt diese Entwicklung auch: Möchten wir als Europäer in Zukunft bei Schlüsseltechnologien nicht zum bloßen Importeur werden, so müssen auch wir uns strategisch positionieren und die Ansiedlung von klimaneutraler Wirtschaft bei uns in Europa gemeinsam und schneller als bisher vorantreiben.
Grüne Reindustrialisierung
Die Industrie steht angesichts der großen Energiemengen, die hier benötigt werden, vor einer besonders großen Herausforderung. Die gute Nachricht: Es scheint bereits klar, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen wird, nämlich in Richtung Energieeffizienz, Elektrifizierung sowie grüner Wasserstoff. Nun gilt es, diesen Umschwung so schnell und unkompliziert wie möglich zu organisieren.
Dies erfordert neben massiven Investitionen in erneuerbare Energien auch ein attraktives Angebot an Investitionshilfen sowie die nötigen Preissignale. Die EU-Kommission hat dementsprechend vor kurzem die Beihilferegelungen angepasst, um Zukunftsinvestitionen zu fördern. Nun müssen die Möglichkeiten dieses neuen Rahmens aktiv genutzt werden.

In Luxemburg gibt es seit 2017 ein Subventionsprogramm des Wirtschaftsministeriums, von dem Unternehmen, die z.B. ihre Produktionsprozesse nachhaltiger aufstellen wollen, profitieren können. Den Jahresberichten des Ministeriums ist jedoch zu entnehmen, dass die jährliche Zahl der Anfragen in den letzten Jahren gesunken ist. Eine Evaluation dieser Beihilfen drängt sich daher auf, um sie anschließend zu modernisieren und attraktiver zu machen.
Darüber hinaus sollte der Staat auch andere Hilfen, die an Unternehmen vergeben werden, an Klimaschutzpläne koppeln. Im Gegenzug zur Unterstützung des Staates würden die Betriebe sich verpflichten, einen Plan aufzustellen, wie sie ihre Treibhausgasemissionen und den Ressourcenverbrauch in den nächsten Jahren reduzieren können.
Das Ziel muss sein, im Laufe der nächsten Legislatur jedem Unternehmen eine klar umsetzbare Perspektive zu eröffnen, wie es seine Aktivitäten auf Klimaneutralität umstellen kann, und die nötigen Instrumente dafür bereit zu stellen. Es geht darum, nach den großen Wirtschaftsstrategien, die in den letzten Jahren erarbeitet wurden, sei es der Rifkin-Bericht oder die derzeitigen Arbeiten an „Luxembourg Stratégie“, konkret zu werden. Hierfür müssen neben dem Klimaministerium alle Ministerien Klimaschutz als Priorität ihrer Politik verstehen – vom Wirtschafts- über das Landwirtschafts- bis zum Finanzministerium.
Keine Klimaneutralität ohne Steuerreform
Eine McKinsey-Studie geht davon aus, dass allein in der EU in den nächsten 30 Jahren Ausgaben von etwa 28.000 Milliarden vonnöten sind, um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
Angesichts der prominenten Rolle, die der Staat in dieser Transition spielen muss, sei es durch Subventionen an Unternehmen oder direkte Investitionen in öffentliche Infrastruktur, kann die Klimawende also nur gelingen, wenn der öffentlichen Hand genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.
Ohne gerechte Steuerreform, die zum einen Anreize im Sinne des Klimaschutzes setzt und zum anderen für genügend Steuereinnahmen sorgt, um Zukunftsinvestitionen zu finanzieren, wird es demnach keine Klimaneutralität geben.
Die nächste Regierung muss daher der tiefgreifenden Reform unseres Steuersystems höchste Priorität einräumen, mit dem Ziel, eine sozial gerechte Klimatransition umzusetzen indem niedrige und mittlere Einkommen unterstützt und die Solidarität in unserem Steuersystem z.B. durch eine gerechtere Besteuerung von sehr hohen Einkommen und Vermögen gestärkt wird.
Think global, act local
Neben den nötigen Maßnahmen auf internationaler, europäischer und landesweiter Ebene sind angesichts ihrer weitreichenden Kompetenzen auch die Gemeinden in der Verantwortung. Dies zeigt sich besonders gut im Bereich der Mobilität. Während auf nationaler Ebene so viel wie nirgendwo sonst in die Schiene investiert wird, sträuben sich immer noch viele Gemeinden, konsequent in Richtung klimaneutrale Mobilität umzudenken.
Die Stadt Luxemburg ist hier das beste Beispiel. Während andere Hauptstädte wie Paris oder Brüssel in den letzten Jahren ein eindrucksvoller Wandel hin zu mehr sanfter Mobilität geglückt ist, hat es der hauptstädtische Schöffenrat verpasst, die Zeichen der Zeit zu erkennen und konsequent in sichere Fahrradwege und mehr Platz für Fußgänger*innen zu investieren.
Trotz der verbesserungswürdigen Infrastruktur ist die Zahl der Fahrräder, die an verschiedenen Stationen gezählt wurden im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel gestiegen. Man stelle sich also vor, was möglich wäre, wenn man ab sofort aktiv in eine zusammenhängende und sichere Fahrradinfrastruktur investieren würde.

Auch im Bereich der erneuerbaren Energien sind die Gemeinden gefragt. Zum einen gilt es, veraltete Bauverordnungen zu modernisieren und somit Hürden für die Energiewende z.B. bei der energetischen Renovierung sowie der Anschaffung von Wärmepumpen zu beseitigen.
Zum anderen können die Gemeinden anhand von erneuerbaren Energiekooperativen, bei denen die Bürger*innen mitinvestieren und an den Gewinnen beteiligt werden, eine stärkere Akzeptanz für die Energiewende schaffen. Auch hier ist das Potential enorm: würde man alle geeigneten Dächer in der Stadt mit Photovoltaik bestücken, könnte man Solarstrom in Höhe von 160% des jährlichen Stromverbrauchs der städtischen Haushalte produzieren.
Jetzt handeln!
Im Jahr 1972 – also vor mehr als 50 Jahren – veröffentliche der Club of Rome seinen Bericht „The Limits to Growth“. Seitdem haben wir als Menschheit nur sehr begrenzt auf die immer lauteren Warnungen vor den Konsequenzen der Klimakrise reagiert. Oft wurde der freie Markt als Lösung herbei beschworen und auch heute noch werden Vorschläge, unsere Wirtschaft im Sinne des Klimaschutzes zu regulieren von einigen Ewiggestrigen pauschal als Planwirtschaft abgetan.
Die Illusion, dass der Markt anhand von technologischer Innovation und ohne staatliche Eingriffe alle Probleme richten wird, hält sich bis heute und wird auch in Luxemburg von konservativen Politikern immer wieder gerne in Verbindung mit dem Vorwurf von Ideologie bemüht. Dabei könnte nichts weniger ideologisch sein, als den nötigen Systemwechsel umzusetzen, um den nächsten Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen.
Angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise gilt es jetzt, auf allen Ebenen – international, europäisch, national und kommunal – konsequent zu handeln und dabei Soziales und Nachhaltigkeit zusammen zu denken. Wir sollten dabei auch nicht davor zurückschrecken, unsere Ziele in Abstimmung mit unseren Partnern weiter nach oben anzupassen – schließlich haben wir als industrialisiertes Land eine besondere Verantwortung. Denn eins ist sicher: Schaffen wir es, das Schlimmste zu verhindern, profitieren wir alle davon.
Erstpublikation: Luxemburger Wort, 25.03.2023